Januar 2020
Das neue Jahr im Hope Projekt und im Slum Madrasi Colony in Dehra Dun beginnt hoffnungsfroh. Die 350 Schülerinnen und Schüler des Hope Projekts bereiten sich auf die Abschlussprüfungen des indischen Schuljahres vor. Die Stimmung in Madrasi Colony ist gut. Hier hat sich durch die helfenden Hände der Agnes Kunze Society in den letzten Jahren viel Positives etabliert: Die Kinder des Slums besuchen mit großer Begeisterung die Hope Academy oder weiterführende Schulen. Immer mehr Patenkinder beginnen nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung oder ein Studium und werden so zu wichtigen Unterstützern ihrer Familien und zu echten Hoffnungsträgern im Slum. Denn anders als ihre Eltern, die nach wie vor zum Großteil als Tagelöhner nur stundenweise beispielsweise auf dem Bau oder als Küchenhilfe arbeiten, können die Jugendlichen davon ausgehen, eine feste Anstellung zu erhalten und somit ein sicheres Arbeitsverhältnis einzugehen. Durch die Aufklärungsarbeit des Hope Projekts im Gesundheitssektor konnten Tuberkulose und HIV im Slum eingedämmt, der Alkoholkonsum verringert werden. Die Agnes Kunze Society ermöglicht in Indien, wo Frauen und Dalits (=„Unberührbare“) nach wie vor vielerorts massiv benachteiligt und unterdrückt werden, den Kindern und Müttern aus Madrasi Colony einen „aufrechteren Gang“ innerhalb der Gesellschaft: Dank Schulbildung, Alphabetisierungskursen, Mikrokrediten und vielem anderen sind sie unabhängiger und selbstbestimmter. Dadurch eröffnen sich ihnen Wege aus der Armut und Perspektivlosigkeit

NeetuHoffnungsträgerin Neetu
Seit ihr Vater vor zehn Jahren verstarb, ist die 17-jährige Neetu eine große Stütze für ihre Mutter und ihre drei Geschwister. Das interessierte, engagierte und aufgeschlossene Mädchen besucht mit Hilfe des Patenschaftsprogramms eine weiterführende Schule und ist eine der besten ihres Jahrgangs. Nach ihrem Schulabschluss möchte sie Stewardess werden, um die Welt zu sehen und mit ihrem Gehalt ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen.

März 2020
Trotz der noch sehr geringen Corona-Infektionszahlen in Indien verkündet der indische Premierminister Modi am 24. März völlig überraschend von einem Tag auf den anderen den totalen Lockdown und für Millionen Menschen in Indien bricht eine Welt zusammen. Auf Anordnung der Regierung müssen sowohl die Hope Academy als auch das Hope Home schließen. Neben der Schulbildung fällt somit auch die lebensnotwendige Grundversorgung, die das Hope Projekt den Kindern und Jugendlichen von Madrasi Colony seit Jahren bietet, innerhalb kürzester Zeit weg. Die SchülerInnen und Patenkinder müssen plötzlich alle nach Hause zu ihren Eltern oder Verwandten. „Zu Hause sein“ heißt für die Bewohner im Slum vor allem: Viele Menschen auf engstem Raum. In den meisten Familien sind die Behausungen so klein, dass nicht mal alle Familienmitglieder gleichzeitig schlafen können. Dazu kommt, dass die Slumbewohner nun ohne jegliches Einkommen dastehen, weil sie als Hilfskräfte ohne Arbeitsverträge gezwungen sind, zu Hause zu bleiben. So ist die größte Sorge in Madrasi Colony nicht primär eine Covid-19-Infektion, sondern der Hunger und die bedrückende Enge. Die Ausgangssperre wird streng überwacht und unter Anwendung von Gewalt sowie Gefängnisstrafen durchgesetzt. Deshalb besteht keine Möglichkeit, dass die Mitarbeiter des Hope Projekts in den Slum kommen: Es fehlen viele tragende und helfende Hände. Die Familien werden in alte Strukturen zurückgeworfen: Enge, Hunger, kein Einkommen, keine Sicherheiten, keine Perspektiven. Vieles, was im Januar für die Slum-Bewohner noch greifbar schien, rückt in weite Ferne.

ManjuHoffnungsträgerin Manju
All „ihre“ Kinder in so großer Not zu wissen, macht die ersten Wochen des Lockdowns für Hope-Projekt-Gründerin Manju unerträglich. Sie setzt gemeinsam mit ihrem Mann Lawrence und dem Hope-Team alles daran, Sondergenehmigungen zu erhalten, um die Kinder im Slum wenigstens
mit Essen versorgen zu können. Sie schaffen es: Am 17. April beginnen sie mit der „Community Kitchen“. Für ihren ungewöhnlichen Einsatz wird sie von der Stadt Dehra Dun zum „Corona Warrior“ gekürt.

SimranHoffnungsträgerin Simran
Simran absolviert gerade sehr erfolgreich ihre Ausbildung als Krankenschwester und wohnt dafür
in einem Schwesternwohnheim. Zu Beginn des Lockdowns erklärt sie sich sofort bereit, nach ihrer Arbeit regelmäßig den mühsamen Weg ins Slum zurückzulegen, um dort im Krankenzimmer auszuhelfen. Dafür organisiert sie sich eine Sondergenehmigung.

April 2020
Die oberste Priorität während des Lockdowns ist die Versorgung der Kinder mit Essen, da die indische Vorgehensweise ganzen Bevölkerungsteilen die Ernährungsgrundlage entzieht. Nachdem es Manju und Lawrence gelungen ist, die erforderlichen Papiere zu erhalten, errichten sie eine Community Kitchen. Sofort sind viele helfende Hände da, um das Hilfssystem zu tragen und zu unterstützen: Täglich ab 4 Uhr morgens treffen sich verschiedene Mitarbeiter des Hope Projekts auf der Dachterrasse von Manjus Haus, um dort über 500 warme Essen zuzubereiten. Diese werden dann ins Slum gefahren und von älteren Patenkindern zuverlässig sowie zügig verteilt. Über diese Jugendlichen aus Madrasi Colony haben die Lehrerinnen und Manju wieder Kontakt mit den Kindern des Hope Projekts und können sich vergewissern, dass es ihnen trotz der Umstände gut geht. Helfende Hände gibt es nicht nur vor Ort in Indien, sondern auch hier bei uns: Viele zusätzliche Spenden ermöglichen die Umsetzung der Community Kitchen

Mai 2020
Am 20. Mai wird der Lockdown ungeachtet massiv steigender Infektionszahlen wieder aufgehoben. Bis dahin hat das Hope Team 18.043 warme Mahlzeiten zubereitet und im Slum ausgegeben. Die meisten Menschen in Madrasi Colony können trotz erhöhter Corona-Infektionsgefahr wieder arbeiten gehen und eigenständig für die Ernährung ihrer Familien Sorge tragen. Die helfenden Hände bleiben: Die Familien, die nicht genügend Geld haben, erhalten Reis-, Gemüse- und Linsenpakete. Regelmäßig werden Hygienekits und Masken verteilt. Die Lehrerinnen dürfen zeitweise wieder ins Slum und in die Hope Academy. Für die Kinder hält die Schließung der Schulen jedoch leider noch an.

LehrerinHoffnungsträger Lehrerinnen und Patenkinder
Die Lehrerinnen des Hope Projekts organisieren gemeinsam mit älteren Patenkindern Unterricht in den Gassen und Nischen des Slums, um den Kindern weiterhin Schulbildung zu ermöglichen und ihren Tag zu strukturieren. So können sie in dieser schwierigen Zeit mit den Schülerinnen und Schülern in Kontakt bleiben, für sie da sein und Hoffnung schenken.

August 2020
In Dehra Dun steigen die Neuinfektionen rapide an. Die Krankenhäuser sind schon seit Wochen an ihren Kapazitätsgrenzen. Glücklicherweise gibt es im Slum bis dato keinen Corona-Fall. Die Stimmung in Madrasi Colony ist noch gut, trotz der echten Bedrohung, die ein Covid-19-Ausbruch darstellen würde: Auf Grund der beengten Zustände, der fehlenden medizinischen Versorgung und der hohen Anzahl an Vorerkrankungen ist die Slumbevölkerung besonders gefährdet. Die Menschen halten sich nicht zuletzt dank der Unterstützung und Aufklärungsarbeit des Hope Projekts vorbildlich an die Vorgaben: Sie tragen ihre Masken bei Temperaturen von über 40°, versuchen trotz der beengten Zustände im Slum Abstand zu halten und nutzen die ausgeteilten Hygiene-Pakete. Darüber hinaus ermöglichen sie es ihren Kindern, ihre Schulsachen zu machen. Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Madrasi Colony bringen zum Ausdruck, dass sie die Unterstützung des Hope Projekts sehr schätzen, so wie diese junge Mutter: „Nur ihr seid für uns da und kümmert euch um uns. Ohne euch würden wir alle sterben und niemand würde es merken.“ Das Hope Projekt möchte weiterhin, auch in diesen schwierigen Zeiten, ein Hoffnungsträger für die Kinder und ihre Familien im Slum sein.

SahilHoffnungsträger Sahil
Sahil, ein Patenkind des Hope Projekts, ist eines der großen Vorbilder der Kinder im Slum. Er studiert Wirtschaftswissenschaften und hat nun ein sehr begehrtes Stipendium bekommen. Dieses vergibt der indische Staat an einige wenige herausragende Studenten. In einem Zeitungsartikel zeigt sich die Stadt Dehra Dun stolz auf den „Sohn der Stadt“ – ein unglaublich hoffnungsfrohes Statement in einem Land, in dem die Unberührbaren immer noch so wenig zählen. Auch Sahil unterstützt seit dem Lockdown die Mitarbeiter des Hope Projekts tatkräftig.

Hoffnung
Auch wenn wir im Moment nicht wissen, wie sich die Situation im Slum und in Indien weiter entwickelt: Die Erfahrungen der letzten Monate geben uns die Zuversicht, dass sich weiterhin viele helfende Hände – sei es vor Ort in Indien, sei es durch Eure und Ihre Hilfe – finden werden, die die Menschen in Madrasi Colony bestmöglich unterstützen.